1. Teil der Reise Wuppertal - Odessa, Redaktioneller Reiseblog

Wahre Helden tragen keinen Umhang

Treffen mit Vitaliy Delku vom Rehabilitationszentrum St. Paul in Odessa

Wir treffen in Odessa Vitaliy Delku, den Leiter eines beeindruckenden Hilfsvereins. Die Arbeit von Vitaliy und seinen Freunden ist zum Heulen schön. Hätte ich einen Hut auf, würde ich ihn ziehen.

Ein beeindruckender Hilfsverein

Vitaliy Delku ist der Leiter der NGO „Rehabilitationszentrum St. Paul“ der ukrainischen Diakonie von Odessa. Vitaliy spricht gut Deutsch, er hat in Dresden Sozialarbeit studiert. Ich habe ihn letztes Jahr kennen gelernt, als wir einen Hilfstransport nach Odessa für ein Krankenhaus durchgeführt hatten. Er war uns hier eine große Hilfe bei der Organisation und hatte schon damals ein wenig von seiner sonstigen Arbeit berichtet.

Team des Rehabilitationszentrum St. Paul in Odessa

Die protestantisch-christliche Hilfsorganisation, die er leitet, bearbeitet mit verschiedenen Partnerorganisationen – teilweise aus Deutschland – mehrere Schwerpunkte, die ich im Folgenden im Einzelnen vorstellen möchte. Ursprünglich war die Organisation angegliedert an die evangelische ukrainische Kirche. Wegen Querelen mit dem 2013 gewählten, äußerst umstrittenen Bischof (mehr erfahren beim Deutschlandfunk) ist der Verein jedoch mittlerweile organisatorisch und finanziell unabhängig von der Kirche. Sie dürfen die kirchlichen Räume nicht mehr nutzen, mussten das Auto abtreten und sind sehr froh, dass sie mittlerweile völlig unabhängig arbeiten können. Aus Deutschland bekamen sie mittlerweile von der Organisation „Brot für die Welt“ einen Elektro-Kleinwagen geschenkt, über den sie sehr dankbar sind. Denn er kostet so gut wie keinen Unterhalt und kein Geld für Treibstoff, eine „Tankfüllung“ Strom für weniger als einen Euro reicht für 130 km.

Die Nichtregierungsorganisation ist zwar vorrangig protestantisch-christlich, aber sie missionieren in keinster Weise, machen bei den Hilfsbedürftigen keinerlei Unterschied, ob diese fromm sind oder nicht und arbeiten auch mit weltlichen Organisationen zusammen und auch mit der katholischen deutschen Caritas.

Sozialarbeit für Aids-Kranke

Ein Schwerpunkt ist Sozialarbeit für Aids-Kranke. Vitaliy erzählt, dass Odessa früher europaweit die Stadt mit den meisten Aids-Infizierten war, denn in der Hafenstadt gab und gibt es viel Prostitution und Drogenabhängige (mehr erfahren bei n-tv). Früher war daher auch Aufklärung und Prävention ein Schwerpunkt, mittlerweile wird das Thema aber auch in den Schulen behandelt. Der Hilfsverein berät und begleitet nun vor allem Infizierte und Kranke. Nicht wenige der Erkrankten leiden zusätzlich unter der Armutskrankheit Tuberkulose. Die Medikamente für die Aids-Behandlung werden vom Staat bezahlt, aber die Erkrankten brauchen viel Hilfe und Begleitung.

Betreuung der inländischen Kriegsflüchtlinge

Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt ist die Betreuung der inländischen Kriegsflüchtlinge aus den Regionen Donbas und der Krim. Laut dem Internal Displacement Monitoring Centre, einer Nichtregierungsorganisation in Genf, gehörte die Ukraine 2017 zu den zehn Staaten mit den meisten Binnenflüchtlingen weltweit (mehr als eineinhalb Millionen). Alleine in der Region von Odessa suchten mehrere zehntausend Menschen Zuflucht. Die meisten konnten zuerst nur provisorisch in Camps untergebracht werden. Vitaliy erzählt, dass diese Arbeit ganz allmählich weniger wird, da viele Flüchtlinge mittlerweile nach und nach integriert werden konnten.

Für den Krieg ist jedoch kein Ende in Sicht, denn im Donbas wird nach wie vor täglich geschossen. Über 13.000 Tote gab es bisher, derzeit ruhen große Hoffnungen auf Verständigung auf dem neu gewählten Präsidenten.

Pionierarbeit mit kriegstraumatisierten Menschen

Ein riesiges Problem – und damit ein weiterer Arbeitsschwerpunkt des Rehbilitationszentrums St. Paul – bleibt aber die hohe Anzahl von durch den Krieg traumatisierten Menschen. Hier leisteten und leisten die Heldinnen und Helden um Vitaliy Pionierarbeit. Angefangen hat das mit psychisch und physisch Verletzten, als im Februar 2014 die Protestierenden auf dem Maidan-Platz in Kiew zusammengeschossen wurden. Bereits im Juli 2014 konnten in Odessa für diese Opfer die ersten Reha-Maßnahmen angeboten werden. Im Juli 2015 brauchten dann die ersten demobilisierten Soldaten aus dem Kriegsgebiet im Donbas sowie deren Familien therapeutische Hilfe.

Ursprünglich wurde die psychologische Hilfe ausschließlich von Ehrenamtlichen geleistet. Doch wegen der belastenden Arbeit litten viele von ihnen nach einigen Monaten unter starken Burnout-Symptomen. Niemand hatte bis dahin Erfahrung mit einer solchen Form von Trauma-Aufarbeitung. Hilfe kam aus Regensburg, der Partnerstadt Odessas. Eine Psychologieprofessorin und mehrere andere Helfer kamen nach Odessa und gaben Fortbildungen und Supervisionen. Mittlerweile werden diese Fortbildungen in regelmäßigen Abständen den Helferinnen und Helfern angeboten, ohne die wäre die Arbeit kaum möglich.

Inzwischen hat der Hilfsverein einige fest angestellte Psychologen, einige arbeiten auf Honorarbasis und viele weitere helfen ehrenamtlich mit. Unterstützt wird das Projekt auch von „Brot für die Welt“ und deren Initiative „Kirchen helfen Kirchen“. Inzwischen gibt es auch finanzielle Unterstützung von der Stadt Odessa.

Ich frage Vitaliy, was genau Trauma in diesem Zusammenhang bedeutet. Er erklärt, dass viele Traumatisierte unter Schlafstörungen leiden, sie haben Probleme, sich wieder zu integrieren, leiden unter Angstattacken und nicht wenige haben zusätzlich auch körperliche Verletzungen. Aber nicht nur die zurückgekommenen Soldaten brauchen oftmals Hilfe, sondern auch deren Ehefrauen und Kinder. Viele Ehen und Familien drohten zu zerbrechen.

Der Verein organisiert Sommercamps, wo die betroffenen Familien 10 Tage Intensiv-Betreuung, psychologische Hilfe, Kunst-Therapie, individuelle Gesprächsangebote sowie Gruppenarbeit und Urlaubsvergnügen geboten bekommen. Auch dieses Jahr ist das wieder geplant.

Auf die Frage, ob sie den Menschen denn wirklich helfen können mit ihrer Arbeit, leuchten seine Augen. Ja, sagt er, wir bekommen viele tolle Rückmeldungen. Und ein wenig stolz weist er darauf hin, dass er glaubt, dass sie schon so manche Familie dadurch vor dem Auseinanderbrechen retten konnten.

Mit der so gewonnenen Erfahrung können sie inzwischen auch andernorts helfen. Nach dem Brand in einem Kinderheim in Odessa wurden sie beauftragt, den überlebenden Kindern, die Augenzeugen des schrecklichen Ereignisses wurden, sowie deren Eltern zu helfen. Vitaliy sagt, inzwischen weiß die Stadt, dass es uns gibt und sie rufen uns, wenn wir gebraucht werden.

Pflege und Betreuung bedürftiger alter Menschen

Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt der Heldinnen und Helden aus Odessa ist die Pflege und Betreuung bedürftiger alter Menschen in der Stadt. Zu ihnen gehören auch Veteranen des zweiten Weltkriegs und NS-Opfer wie zum Beispiel ehemalige Zwangsarbeiter. Viele von ihnen sind verarmt und einsam. Unterstützt werden sie dabei von der deutschen Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft (EVZ) (www.stiftung-evz.de). Die Helfer besuchen pflegebedürftige Menschen, helfen ihnen beim Putzen, Einkaufen, bieten aber auch einen Ausweg aus der Vereinsamung durch Angebote wie zum Beispiel Deutschkurse für Senioren.

Heute (7.5.) Vormittag zum Beispiel haben Vitaliy und einige ehrenamtliche Helfer viele Geschenkpakete gepackt. Übermorgen, am 9.5., dem Tag des Sieges über die Nazis, werden sie die letzten überlebenden Kriegsveteranen und NS-Opfer in ihren Wohnungen besuchen und diese Geschenke überreichen. In den liebevoll gepackten Tüten befinden sich vor allem gute Lebensmittel. Vitaliy sagt: Diese Menschen haben es verdient, dass auch und besonders sie am 9.5. diesen Feiertag festlich begehen können, das wollen wir ihnen mit unseren Geschenken ermöglichen.

Fazit

Die Arbeit von Vitaliy und seinen Freunden ist zum Heulen schön. Hätte ich einen Hut auf, würde ich ihn ziehen. Danke Vitaliy und weiter so!

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